Warum nur DU beurteilen kannst, wie du die Geburt deines Kindes erlebt hast und niemand sonst das Recht hat darüber zu urteilen.
Triggerwarnung belastende Geburtserfahrungen, Geburtstrauma, Gewalt in der Geburtshilfe
In den 12 Jahren, die seit meinem Hebammenexamen vergangen sind, habe ich immer wieder hautnah miterlebt, wie individuell die Wandlungsphasen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett verlaufen und erlebt werden. Ebenso individuell sind natürlich auch die Menschen, die ich durch diese Phasen begleite. Als Hebamme und in der traumasensiblen somatischen Körper- und Bewegungsarbeit. Auch jede Geburt ist individuell und so gleicht keine der anderen in voller Gänze.
Jede Gebärende bringt andere Erfahrungen mit in den Kreißsaal und niemals zuvor war diese Frau mit diesem Baby schwanger und ist niemals zuvor durch diese Geburtserfahrung gereist…Somit stimme ich Prof. Dr Hildebrandt vollkommen zu, der davon spricht, dass jede eine Geburt ein weltgeschichtlich einmaliges Ereignis ist.
Und somit dürfte auch immer klarer werden: bei all der Vielfalt ist ebenso das Erleben von Geburt sehr individuell.
„Und dann hielt ich mein Baby in den Armen und alles war vergessen…“
Kaum eine Frau hat diesen Satz im Wochenbett zu mir gesagt, jedoch häufig in der Schwangerschaft erzählt bekommen, dass es so sei nach der Geburt…
Was ich von den Frauen nach der Geburt hörte war meist eher ein: „Jetzt wo ich mein Baby in den Armen halte, weiss ich wofür ich diesen herausfordernden Weg gegangen bin“
oder „Ich bin fix und alle und gleichzeitig erfüllt von unendlich viel Liebe.“
und manchmal auch ein „Ich fühle mich einfach nur leer.“ im Wochenbett.
Oder später:„Es dauerte Tage/Wochen/Monate, bis ich wieder bei mir und in meinem Körper angekommen bin.“
Und nein, damit möchte ich keineswegs sagen, dass es keine positiven Geburtserfahrungen gibt. Ich durfte selbst als Geburtshelferin viele Male bei bestärkenden und selbstermächtigenden Geburten begleitend dabei sein und für diese Erfahrungen bin ich unglaublich dankbar. Und auch als Mutter habe ich selbst neben 2 sehr herausfordernden und belastenden Erfahrungen auch eine sehr bestärkende und selbstbestimmte Geburtserfahrung sammeln dürfen.
Vielmehr möchte ich diesen Blogartikel dafür nutzen, um den Raum zu öffnen für deine Geburtserfahrung.Denn wenn du dich dafür entschieden hast, diesen Artikel zu lesen, dann hast du vielleicht die Geburt als sehr herausfordernd, belastend oder gar als traumatisch erlebt. Vielleicht einmal, vielleicht auch abermals.
Das Thema belastende Geburtserfahrung ist immer noch ein großes Tabuthema und vielen Frauen wird die Selbstwahrnehmung durch eine Beurteilung oder Kategorisierung von außen abgesprochen.
Du brauchst keine Erlaubnis von mir oder irgendjemand sonst, um deine Geburtserfahrung als belastend bezeichnen zu dürfen. Du brauchst keine Diagnose. Keinen Befund.
Denn nur du allein kannst sagen, wie du die Geburt deines Kindes erlebt hast.
Niemand sonst hat ein Recht dazu, darüber zu urteilen.
Zahlen und Fakten
Bei Weitem nicht jede Mutter erlebt die Geburt ihres Kindes als ein schönes und stärkendes Ereignis. Leider.
Die Häufigkeit von Traumatisierung liegt je nach Studie zwischen 10 und 30 Prozent aller Geburten. Das Vorkommen von Gewalterfahrungen wird mit bis zu 50 Prozent angegeben. Mit Blick auf die ungefähr 800.000 Geburten im Jahr, einschließlich kleiner und stiller Geburten, sind das rund ein viertel bis eine halbe Million betroffene Mütter und Kinder jährlich.
(eV Motherhood 2023)
Das sind dramatisch viele Frauen und die Wahrscheinlichkeit, dass du, die hier gerade liest, dazu gehörst, ist somit hoch.
Das Schwierige daran ist, dass dieses Erleben sich auf das restliche Leben der Betroffenen auswirkt. Es wirkt ein auf die mentale, emotionale und körperliche Gesundheit der frisch geborenen Mutter, der ihres Babys und auf das gesamte Familiensystem.
Und diese Auswirkung von belastenden Geburtserfahrungen sind noch viel zu wenig bekannt.
Was dazu führen kann, das Frauen sich durch die Geburtserfahrung belastet oder sogar traumatisiert fühlen können, werde ich im weiteren Text versuchen zu erklären.
Geburt als Krise
Geburt an sich ist eine lebensveränderte Krise.
Krise = schwierige Lage, Situation, Zeit [die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt]; Schwierigkeit, kritische Situation; Zeit der Gefährdung, des Gefährdet seins.
Geburt ist also perse als Krise definierbar, auch dann, wenn die Geburt nicht als belastend erlebt wird.
Begleite ich Frauen und ihre Familie im Wochenbett, so besuche ich diese nach der Geburt regelmäßig zu Hause. Gerade in den ersten Tage stehen vor Allem die körperlichen Veränderungsprozesse bei Mutter und Kind im Vordergrund. Sind die ersten Tage vergangen, entsteht oft mehr Raum und die Geburtserfahrung tritt in den Vordergrund.
Über das Geburtserlebnis zu sprechen empfinden die Frauen oft als entlastend, wenn es ein zugewandtes Gegenüber gibt, dass einfach zuhört. In der regulären Wochenbettbetreuung fehlt dazu aber leider oft die Zeit.
Viele Frauen empfinden die Geburt als überwältigend, sowohl im Positiven, als auch im Negativen. Das kann sich zB auf die Intensität der Geburtskraft, medizinische Eingriffe oder unerwartete Komplikationen im Geburtsverlauf beziehen.
Symptome nach belastend erlebter Geburt
Ob und wann eine Geburt als belastend empfunden wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Häufig zeigen sich in der Zeit nach der Geburt bei der frisch geborenen Mutter Symptome wie:
- Übererregung, Ruhelosigkeit
- Innere Starre, gelähmt sein
- Alpträume
- verstärkte Ängste
- Niedergeschlagenheit, vermehrtes Weinen
Diese Aufzählung darf als Orientierung dienen, ist jedoch kein Werkzeug zur Diagnosestellung und ist ebenso nicht vollständig. Die Symptome können gemeinsam oder vereinzelt und in unterschiedlicher Intensität auftreten.
Ob eine Frau die Geburt als belastend empfunden hat, kann immer nur von der Frau selbst beurteilt werden. Leider wird Betroffenen häufig mit Unverständnis begegnet.
Sätze wie „Hauptsache das Baby ist gesund!“ oder „Jetzt hast du es doch hinter dir! Schau nach vorne“ können verletzend und für den Heilungs- und Verarbeitungsprozess sogar massiv störend sein.
Auslöser für eine belastend erlebte Geburt
Es müssen keine „typisch traumatischen Ereignisse“ sein, um die Geburt als belastendes Ereignis zu empfinden. Oft reicht schon eine unachtsame Bemerkung oder Handlung seitens des geburtshilflichen Personals aus.
Bei den folgenden Situationen konnte ich öfter eine postpartale (nachgeburtliche) Belastung (nicht Depression!) bei Frauen beobachten:
- eine sehr rasche oder sehr langsam verlaufende Geburt
- die unachtsame Begleitung durch das Fachpersonal (in Form von Bemerkungen und/oder Maßnahmen)
- ein plötzlicher und/oder unerwarteter Verlauf der Geburt
- Komplikationen, die Angst um das Leben des Kindes oder das eigene Leben ausgelöst haben
- gestörter Bindungsaufbau zwischen Mutter und Kind
- schmerzhafte Geburtsverletzungen
- unerfüllte Erwartungen an die Geburt
Die Punkte dieser Liste sind nur Beispiele und können noch weiter ergänzt werden.
Eine traumatische Geburt zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Bewältigungs- und Verarbeitungsfähigkeit der Gebärenden übersteigt. Die Geburtserfahrung hat eine solche Überwältigung ausgelöst, das die Frauen oft hilflos und mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück bleiben.
Wir können das Ausmaß der Geburtserfahrung also kaum an äußeren Faktoren festmachen, da die inneren Faktoren viel ausschlaggebender dafür sind.
So kann zB eine unerwartet Wendung unter der Geburt auch gut verarbeitet werden, wenn die Gebärende eine einfühlsame und zugewandte Begleitung durch die Geburtshelfer:innen erfährt und sich jederzeit, auch in der bedrohlichen Situation, gut begleitet, selbstwirksam und sicher fühlt.
Viel ausschlaggebender als die äußeren Faktoren sind also die inneren: eine große Rolle spielt hier die innere Resilienz. Die psychische und körperliche Wiederstandskraft.
Das eine Frau die Geburt als belastend empfindet ist also wahrscheinlicher, wenn es bereits traumatische Erfahrungen oder eine psychopathologische Vorgeschichte gibt.
Begleitung nach belastend erlebter Geburt
Wenn du wissen möchtest, wie ich mit betroffenen Frauen zusammenarbeite, dann trage dich von Herzen gerne unverbindlich über dieses Formular ein. Danach erhältst du mehr Informationen über mich und meine Arbeitsweise.
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Da die Begleitung von Frauen (und deren Partner:innen) im Rahmen der Wochenbettbetreuung nur oberflächlich durch die Hebamme begleitet werden kann, habe ich mich intensiv zum Thema Trauma und Geburtserfahrung verarbeiten fortgebildet.
Manchen Frauen hilft zwar bereits ein Gespräch über die gemachten Erfahrungen, häufiger reicht das reine Gespräch allerdings nicht aus.
Wenn du dein Geburtserlebnis auch als belastend empfunden hast, kann es hilfreich sein, dir Hilfe zur Integration dieser Erfahrung zu nehmen.
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